Geschichte Bienstädts von Uwe Riedel

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Beiträge zur Bienstädter Heimatgeschichte 1.Teil:

Die Flurnamen

Erhebt sich zwischen Langensalza, Gotha und Erfurt die Frage, ob man mit dem Begriff „Bienstädter Warte“ etwas anzufangen weiß, dann kommt in den meisten Fällen eine positive Antwort. Das Imtal oder Offhausen ist vielen Bienstädtern, sogar jüngeren, durchaus bekannt. Alle anderen alten Namen von Feldern, Wegen und Gräben scheinen dagegen unbekannt und leider auch un-interessant zu sein.
Dank des Wissens der bejahrten Landwirte Margarete und Lothar Dingelstädt konnten nun die alten Flurnamen rekonstruiert, räumlich zugeordnet und vor der Vergessenheit bewahrt werden. Neben jenen Erinnerungen wurde auch dieses Buch herangezogen: Luise Gerbing „Die Flurnamen des Herzogtums Gotha und die Forstnamen des Thüringerwaldes“ Gustav-Fischer-Verlag Jena 1910.
Einige interessante Details seien hier ganz kurz erwähnt:
• Es hat in unserer Nähe mindestens vier Wohnplätze gegeben, die noch vor dem 30jährigen Krieg zu Wüstungen wurden: Uffhusen, bzw. Offhausen, Haibach oder Heubach (heute Haibacher See in der Töttelstädter Flur), Haßleben und Neuß an der Grenze zur Molschleber Flur. Die Orte sind verschwunden, nur die Namen blieben über Jahrhunderte erhalten.
• Die Seeecke hat seit Menschengedenken keinen See, war aber bis zur neuzeitlichen Drainage stets feucht und speist die Offhäuser Quelle, die im sehr trockenen Sommer 1902 ganz Bienstädt zuverlässig mit Wasser versorgt hat.
• Auf dem Anger soll die Offhäuser Kirche gestanden haben. Beim Ackern hervortretende behauene Steine scheinen die alte Überlieferung zu untermauern.
• Die Steingrube ist wirklich ein karges und steiniges Feld mit wenig Ertrag.
• Der Eselsweg bekam seinen Namen von den Transporten zur Mühle nach Kühnhausen, bis 1731 der Mühlenzwang abgelöst wurde und Bienstädt eine eigene Windmühle errichten durfte.
• Die Mark war der Grenzweg zwischen dem Herzogtum Gotha und dem Königreich Preußen. Aufmerksame Wanderer finden in Richtung Witterda heute noch etliche bemooste Grenzsteine, in welche die Buchstaben HG und KP eingemeißelt sind.
• Die Hecke war ehemals ein Eschengehölz nördlich des Dorfes.
• Nicht nur auf dem Gelände neben der Bienstädter Warte, sondern auch auf dem Kiesberg befand sich zu DDR-Zeiten ein Horchposten (Funkkontrollstelle) der Stasi.
• Das Börnchen ist eine der Quellen des Weißbachs, war früher oberirdisch, heute nicht mehr sichtbar, gelegen am Grundstück Pfortengasse 115.
Das im zitierten Buch erwähnte Mittelfeld, das Hinterholz, das Unterrode und das Oberrode konnten bisher noch nicht räumlich zugeordnet werden. Wenn aufmerksame Leser hier Korrekturen oder weiteres Wissen beitragen können, so ist das sehr willkommen.
Wenden Sie sich einfach an den Heimatverein Bienstädt [info@bienstaedt.de] oder direkt an Uwe Riedel [uwe@vocalitas.de]. Vielen Dank!
Lassen Sie uns gemeinsam Erhaltenswertes bewahren!

 

Beiträge zur Bienstädter Heimatgeschichte 2. Teil:

Was unter den Antennen der Warte wirklich geschah. (ein Interview von Uwe Riedel, Bienstädt mit dem Postoberinspektor i.R. Horst Reimann, Molschleben)
Herr Reimann, für viele Menschen in unserer Gegend war das antennenbestückte Gelände der Bienstädter Warte untrennbar mit dem Begriff „Stasi“ verbunden. Was können Sie aus Ihrer langjährigen Tätigkeit vor Ort berichten?
1972 kam ich 22-jährig von der Armee und bekam als Funker eine Anstellung bei der Deutschen Post in der Funkkontrollstelle Südwest in Bienstädt. Wir gehörten zu RADIOCON, das später Zentralamt für Funkkontroll- und Meßdienst (ZFK) hieß und dem Postminister unterstand. Aufgaben des ZFK waren Frequenz- und Leistungsmessungen der Sendeanlagen von Radio, Fernsehen und des Betriebs- und Amateurfunks. Es wurden auch alle internationalen Rundfunk- und Fernsehsender, soweit sie empfangbar waren, eingemessen und die Ergebnisse über Berlin nach Genf gemeldet. Wir haben die Qualität und Frequenztreue der DDR-Sender überwacht und natürlich auch „Schwarzsender“ und Störquellen gesucht. Da die DDR Mitglied im internationalen Verband CCIR war, musste sie so eine Behörde haben, um die Einhaltung der Regularien zu garantieren. Es gab 3 separate Einrichtungen: Das Gelände an der Warte mit den großen Antennen, das Holzhaus in der Nähe, welches jetzt von den Jägern genutzt wird und seit 1970/71 auf dem Kiesberg einen Bauwagen. Das Holzhaus hatte im oberen Teil absichtlich keine Metallteile, um die dort durchgeführten Feldstärkemessungen nicht zu verfälschen. Auf dem Kiesberg wurde per Peilung überwacht, ob zugelassene Amateurfunker vom korrekten Standort aus mit der richtigen Frequenz sendeten und die vorgeschriebene Funkdisziplin (keine Privatsachen, nichts Politisches) einhielten. Dazu wurde der Funkverkehr auf Tonbändern mitgeschnitten und Verstöße an die übergeordnete Postdienststelle gemeldet. Wohin von dort aus die Meldungen weitergereicht wurden, war damals kein Thema. RADIOCON war nicht geheim und hatte weder mit dem MfS noch der Armee zu tun. 1990 wurde der Funkkontroll- und Meßdienst in das Bundesamt für Post und Telekommunikation (BAPT) eingegliedert, wir Mitarbeiter natürlich auf mögliche frühere Stasi-Tätigkeit überprüft und für zuverlässig befunden.
Nachweislich waren aber auch MfS-Mitarbeiter auf dem Gelände an der Warte. Was wissen Sie darüber?
Früher hatte die Wehrmacht hier einen Fliegerleitsender, der über ein Druckluftkabel vom Flughafen Erfurt aus gesteuert wurde. Ob schon die Legion Condor ab 1936 von hier Befehle bekam, lässt sich nicht sagen. Sicher ist, dass im Imtal ca. 20m tiefe Brunnen das Kühlwasser für die Sendeanlagen lieferten. Bis etwa 1975 hatte die NVA (Armee) eine kleine Außenstelle zur Funküberwachung auf der Warte, danach baute die Stasi um 1985 das Verwaltungsgebäude. Spionage kann hier nicht getrieben worden sein, da das MfS nur eine einzige eigene UKW-Antenne geringer Leistung für die Werkstatt besaß. Hier wurden, soweit wir das sahen, nur Funkgeräte der Grenzer und des MfS repariert. Man trug keine Waffen und hatte auch keinen Bunker.
Herr Reimann, vielen Dank für Ihre detailreiche Schilderung, die ein möglicherweise leicht verzerrtes Geschichtsbild wieder etwas gerade rücken kann.“ Molschleben, Mai 2014

 

Beiträge zur Bienstädter Heimatgeschichte 3. Teil:

Warum die Friedenskirche in Bienstädt diesen Namen hat.
Im September 2014 feiert Bienstädt das 200-jährige Jubiläum der Einweihung der Friedenskirche. Die vorherige Johanneskirche „ rührt dem Ansehen nach her noch aus dem Pabstthum her; … Sie ist bis unter das Dach massiv, 66. Sch. lang, 24 Sch. breit und mit Ziegeln gedeckt … Der Thurm ist an der Kirche angebaut worden und mit Schiefer gedeckt. Auf demselben hangen 2 Glocken zum Geläut. Die große wiegt ohngefähr 8 Ctr. und die kleine 5 bis 6 Ctr. Die Schlaguhr hängt aussen am Thurm unter einem Wetterdächelchen. Die alte Kirche wurde sehr baufällig. Aus den Überlieferungen zur Grundstein- legung am 20. Juni 1811 erfährt man, dass die Gemeinde zwischenzeitlich in der Schenke einen Betsaal eingerichtet hatte. In der Predigt sagte Pfarrer Sieffarth: „Herr! Segne und behüte die Stätte … und erhalte ihr und uns allen den Frieden. Der Wunsch ging nicht in Erfüllung. Die napoleonischen Kriege brachten große Not und Leid nach Bienstädt. Erst über 3 Jahre später konnte die neue Kirche fertig gestellt und geweiht werden. Eine Handschrift von Pfr. Sieffarth erzählt: das nach der Plünderung 1806 dieses Dorf in eine traurige Lage ist gebracht worden. Auch 1813 muste es im Frühjahr zahlreiche Kriegsfuhren besorgen! Von Gotha aus bis Waltershausen Bisleben u. nach Eisenach zu. Vom 7.-11. März 170 kaiserliche Garde Kürassiere mit den Offizieren in Einquartierung haben. Endlich im April 3 Lieutnants 1 Premierwachmeister 185 Man Cavallerie wieder Quartier nahm / Endlich die Einwohner im April, Mai, Juni nach Erfurt getrieben wurden zu Schanzarbeiten, trotz allen dringenden Feldarbeiten! Auch im August, September, October von streifenden Franzosen u Preußen hin u wieder geängstigt wurden. Auch nach der Leipziger Befreiungsschlacht gab es noch keine gute Zeit. Am 22ten October stürmten 300 Kosaken in das Dorf hinein zu neuer Plünderung die bald nach der Einahme Töttelstädt auch wirklich vor sich ging. Ein Vierteljahr dauerte die Belästigung von Preußen u Russen bis in Februar hinein. Der im November aufgebotene Landsturm musste nach Gotha zur Besatzung u so kam unser Dorf erst spät im Frühjahr zu der eigentlichen Friedensruhe. Gut 100 Jahre später ein erneuter Verlust: beide Glocken, die großen Orgelpfeifen und der Biltzableiter wurden 1917 dem Kanonendonner geopfert. 1945 hisst die Gemeindedienerin Rosa Käppler auf dem Kirchturm die weiße Fahne und verhindert vorerst den Beschuss des Dorfes durch die Amerikaner.
Seit fast 70 Jahren herrscht nun Frieden. Möge es so bleiben und unsere Friedens- kirche mit ihrer Geschichte allen eine Mahnung sein, dass das 5. Gebot immer gilt! Kirchen- und Schulen-Verfassung des Herzogthums Gotha, Joh. Heinr. Gelbke, Teil 2 Bd. 2. Gotha 1799, S.399 2 Magazin für Prediger, Dr. J. F. Chr. Löffler, VI. Band, 2. Stück, Jena 1812, Seite 270 ff. 3 Pfarrarchiv Bienstädt, S. 22 der Akte Nr. 7 im Karton 29                               (Text: Uwe Riedel, Bienstädt, 2014)

Beiträge zur Bienstädter Heimatgeschichte – 4.Teil: Das Pfarrarchiv

Nach mehr als einem halben Jahrhundert ist das Pfarrarchiv in Bienstädt aus muffigem Dornröschenschlaf wieder ans Licht gebracht worden. Im Frühjahr 2014 wurden durch Herrn Pfr. Alfons Dietrich und weitere ehrenamtliche Helfer umfangreiche Arbeiten geleistet. Aus einer staubigen, mäusebefallenen Kammer wurden viele Bücher und umfangreiche Aktenstapel geholt, gesäubert und inventarisiert. In einem neuen, sauberen Raum konnte nun eine übersichtliche Archivbibliothek eingerichtet werden, die diesen Namen wirklich verdient.Schriften und Drucke, die von den Pfarrern aus Bienstädt und Töttelstädt im Laufe der letzten vier Jahrhunderte zusammengetragen wurden, sind nun wieder für historische Forschungen nutzbar gemacht worden.Von besonderer heimatgeschichtlicher Bedeutung sind hier die Ortschroniken, die seit 1853 auf herzogliche Verfügung hin von den Pfarrern zu schreiben waren. Die großen Folianten enthalten kirchengeschichtliche, wirtschaftliche, naturhistorische, statistische und zeitgeschichtliche Nachrichten – das jeweilige Dorf betreffend. Man liest Bauberichte von Kirche und Pfarrhaus, etwas über Glocken und Orgel, Spenden und Legate, Geschichte der Schule, Brände und Unglücksfälle im Dorf, Auswanderungen, Wettererscheinungen, Ernteberichte und Erbeben, Einquartierungen und Kaisermanöver, Kriegsereignisse und nicht zuletzt über gestohlene Speckseiten und Mäuseplagen.Diese unersetzlichen Unikate sind in schwer lesbarer Handschrift verfasst und ihr höchst interessanter Inhalt wurde bisher nur in winzigen Ausschnitten wie z.B. in der offiziellen Bienstädter Ortschronik von 2002 abgedruckt.

Am 7. September 2014 wird es zum 200-jährigen Weihe-Jubiläum der Bienstädter Friedenskirche einige Veranstaltungen geben. Neben einem Festgottesdienst, einem Theaterstück und anderen Höhepunkten erwartet Sie auch eine kleine Ausstellung über das Pfarrarchiv. Dabei wird die erste Hälfte der Bienstädter Pfarrchronik endlich für jedermann lesbar als gedruckte Broschüre zu haben sein. Die mühevolle Entzifferungsarbeit des ehrenamtlichen Archivars wird noch weiter fortgesetzt, bis vermutlich im Frühjahr 2015 auch der 2. Teil der Pfarrchronik für die Einwohner fertig gestellt ist.

 

Beiträge zur Bienstädter Geschichte Teil 5

Gothaische Zeitung, Anfang Juni 1893:

Am Sonnabend Abend gegen 6 Uhr meldete Alarm vom Schlosse Feuer in einer Landschaft. Der Ort Bienstädt, welcher am 5. Mai schon von einem größeren Brande heimgesucht worden war, ist wiederum der Schauplatz eines Brandunglückes gewesen. Unsere Feuerwehr rückte alsbald mit zwei Wagen Steigermannschaften ab, welchen Herr Branddirektor Meurin und Herr Landrat Dr. Dietzsch bald nachfolgten. Nicht weit von der früheren Brandstätte war in zwei Hintergebäuden auf einmal Feuer ausgebrochen. In wenigen Minuten standen eine Reihe Ställe, Scheuern und Nebengebäude in Flammen, so daß die zuerst auf dem Brandplatze Erschienenen alle Mühe hatten, das Vieh in Sicherheit zu bringen, was auch nach vielen Fährlichkeiten gelang. Zeit, um die geretteten Tiere unterzubringen, war nicht vorhanden, und mußten dieselben in das freie Feld gelassen werden. Die Feuerwehren der nächsten Orte trafen bald ein, die Spritze aus Töttelstädt war die erste; selbst von Schmiera war die Feuerwehr erschienen. Bei dem völligen Wassermangel hatten die wackeren Feuerwehren einen schlimmen Stand, zumal der vor der Kirche gelegene Teich noch nicht wieder gefüllt ist und auch sonst nur wenige Brunnen zur Verfügung standen. So konnten von 26 Feuerwehren, die mit 23 Spritzen vertreten waren, nur wenige in Thätigkeit treten. Dagegen gab es für die Steigermannschaften tüchtig zu thun, da die brennenden oder bedrohten Gebäude eingerissen werden mußten. Das Feuer ist auf der nämlichen Straßenseite entstanden, wo das frühere zum Ausbruch kam, und verbreitete sich sowohl gleichzeitig inmitten eines großen Häuserkomplexes östlich wie auch westlich, so daß nach zweistündigem Brennen ca. 25 Gebäude in hellen Flammen standen. Besonders bezeichnend für die furchtbare Gewalt des Elementes ist es, daß fast gar kein Brandholz gerettet werden konnte und die Balken der Häuser, selbst wenn niedergerissen, noch vollständig verbrannten. Eingeäschert wurden die Gehöfte nachfolgender Einwohner: Landwirt Cäsar Cyriax-Schreiber: 1 Wohnhaus, 1 Scheuer, 2 Ställe; Landwirt Julius Breithaupt: 1 Wohnhaus, 2 Ställe, 1 Scheuer; Gutsbesitzer Theodor Dünckel: 1 Wohnhaus, 2 Ställe, 2 Scheuern; Landwirt Wilhelm Gärtner: 1 Wohnhaus, 2 Ställe, 1 Scheuer; Gutsbesitzer Karl Rödiger: 1 Scheuer, 1 Schafstall; Johann Ernst Schlöffel: 2 Ställe, 1 Scheuer; Landwirt Wilhelm Kallenberg: 2 Ställe, 1 Scheuer; Landwirt Wilhelm Steinbrück: 1 Wohnhaus, 2 Ställe, 1 Scheuer; Konstant. Huck: 1 Wohnhaus, 1 Scheuer, 1 Stall. Das Wohnhaus und die Scheuer des Landwirts August Krause ist stark beschädigt. Die Landwirte Cyriax-Schreiber und Gärtner befanden sich beim Ausbruch des Brandes zur Besorgung von Geschäften in hiesiger Stadt. Welcher Anblick sich beiden bei der Rückkunft darbot, ist erklärlich, wenn man hört, daß sie ihre Besitzungen schon in einen Schutthaufen verwandelt fanden. Infolge ihrer Abwesenheit waren auch die Räume verschlossen, so daß von dem Mobiliar nichts gerettet werden konnte. Die Feuerstätte bildet fast ein Quadrat und ist von kolossaler Ausdehnung. Über die Entstehungsursache des Feuers verlautet nichts, doch liegt unzweifelhaft Brandlegung vor. Die Gothaer Feuerwehr kehrte erst gestern Vormittag hierher zurück. Das Dorf, welches nur 89 Feuerstätten zählt, dürfte lange Zeit brauchen, ehe die Spuren dieser beiden furchtbaren Katastrophen vom 5. Mai und 4. Juni vollständig verwischt sind.

 

Bienstädter Heimatgeschichte – 6. Teil:

Die Zigeunersage
Wie im letzten Artikel an dieser Stelle berichtet, brannte es 1893 in Bienstädt zwei Mal. Vor diesen Bränden lebten hier viele Einwohner in dem Glauben, in Bienstädt könne kein Brand vorkommen. Darauf bauend hatten sehr viele Einwohner ihr Hab und Gut nicht feuerversichert. Man erzählt sich im Dorfe seit Alters her (übrigens in anderen Ortschaften, z.B. Kleinfahner auch), unter einer Linde in der Nähe der Schenke liege eine Zigeunerin begraben, die bei ihrem Tod gesagt haben soll, solange ihr Grab unversehrt bleibe, brenne es nicht. Da es seit 1733 tatsächlich in Bienstädt nicht nennenswert gebrannt hatte, verfestigte sich dieser Aberglaube bzw. diese Sage im Volkmund immer mehr. Als im Mai 1893 fast ein Viertel des Dorfes abbrannte, suchten nun die Menschen darin die Ursache, dass bis vor dem zweiten Brand im Juni Schutt auf jenem vermeintlichen Grabe gelegen habe. Der damalige Schultheiß ließ, um wenigstens etwas zu tun und die aufgebrachte Stimmung zu beruhigen, gleich nach dem ersten Brande jenen verhängnisvollen Bauschutt vom Grabe entfernen. In alten Erzählungen heißt es sogar, bei solchem Frevel ließe es die Zigeunerin innerhalb von sieben Jahren viermal hier brennen. Glücklicherweise hat sich diese schlimme Prophezeiung nicht erfüllt.
In den meisten Geschichten gibt es einen wahren Kern. Zumindest in unserem Nachbarort Kleinfahner. Dort wurde 1897 ein auf dem Friedhof befindlicher „Zigeunerstein“ untersucht, der von den Einwohnern ungewöhnliche Verehrung erfuhr. Als Gegenleistung für ein Begräbnis in geweihter Erde soll die Sterbende dem Dorfe Schutz vor Feuer versprochen haben. Man fand heraus, dass die sogenannte Wahrsagerin bzw. Seherin eine 16jährige Maria Seerin war, die als eine von 200 Salzburger Emigranten anno 1732 auf der Durchreise nach Polnisch- Preußen hier verstarb und begraben wurde. Die Sterberegister gaben eindeutige Auskunft. Dennoch hielt sich im Volke der Glaube, dass das unversehrte Grab der „Zigeunerin“ für das Dorf eine Feuerversicherung sei, wobei aber zu bemerken ist, das seit dem jegliche Brände in Kleinfahner stets auf ihren Herd beschränkt blieben.
In den Bienstädter Sterberegistern und chronistischen Aufzeichnungen jener Jahre sind weder ein solches Sonderbegräbnis noch Salzburger Emigrantenzüge erwähnt. Damit fehlt uns eine logische Erklärung dieser Sage wie in Kleinfahner. Wir sollten deshalb weiterhin auf die eigene Vorsicht und unsere hilfreiche Feuerwehr vertrauen! Doch ist das Bienstädter „Zigeunergrab“ nicht wenigstens einer kleinen Gedenktafel wert? Wer weiß noch, wo genau es ist? Uwe Riedel, Bienstädt

Ein merkwürdiger Grabdenkstein in Kleinfahner. Von Pfarrer Oehring in Bienstädt, Heft 8, 1898 in „Aus der Heimath. Blätter der Vereinigung für Gothaische Geschichte und Alterthumsforschung

 

Bienstädter Heimatgeschichte – 7. Teil: Der Offhäuser Brunnen

Unscheinbar steht eine Baumgruppe im Feld südlich der Straße zwischen Bienstädt und der Warte. Inmitten der Bäume versteckt sich ein gleichermaßen lauschiger wie geschichtsträchtiger Platz. Was heute in Beton eingefasst und unter einer unansehnlichen Abdeckung verborgen ist, war einst die bedeutsame Offhäuser Quelle. Noch vor das Jahr 800 wird die Ersterwähnung des Ortes „Vffhusun“ im Breviarium des St.Lullus datiert. Bis in das 15. Jhd. hinein wird der Ort in vielen Urkunden erwähnt und gehörte den Grafen von Gleichen und später auch einigen Erfurter Patriziern. Der Warteturm, 1411 errichtet, wurde seinerzeit als Uffhäuser Warte benannt. In der Bienstädter Visitationsakte von 1533 liest man von der „wusten Offhusen“, so dass der Untergang Offhausens wahrscheinlich in die Zeit des Sächsischen Bruderkrieges um 1450 einzuordnen ist. Eine Kirche St. Wigbert soll es gegeben haben, von der behauene Steine Zeugnis gaben, die im 20. Jhd. beim Ackern zu Tage traten. Als einziges Relikt des gewesenen Dorfes findet man heute nur noch die Quelle. In den vergangenen 150 Jahren hat sie Bienstädt mehrfach während großer Trockenheiten aus der Not helfen können. Versiegende Brunnen, eine leere Schwemme und einen ver-trocknenden Pfarrgartenteich sah man in so manchem Jahr. Im 18. und 19. Jhd. wurde über eine Wasserleitung nach Bienstädt beratschlagt, aber mangels Geld und wegen Zweifeln an der Ergiebigkeit der Quelle nie gebaut. Heute bleibt nur zu wünschen, dass eines Tages die Offhäuser Quelle wieder ein so idyllischer Ort wird, wie ihn Rudolf Herz in den 1970er Jahren auf seiner Zeichnung festgehalten hat.

Offhäuser Brunnen

Offhäuser Brunnen

 

Bienstädter Heimatgeschichte – 8.Teil: Zeitzeugenberichte 1939 – 1945

Text: Lothar Dingelstedt, Jahrgang 1932, Handschriftliche Aufzeichnungen angefertigt im Alter von 14 bis 17 Jahren in Bienstädt, Teil 1 von 3
„Am 3. September 1939 brach der Krieg aus. Kurze Zeit darauf bekamen wir schon Saarländer, denn diese mußten vor dem Feinde flüchten. Etwa im Jahre 41-42 zogen sie allmählich wieder in ihre alte Heimat zurück. Durch einsetzende Bombardierung der Städte im Westen Deutschlands hatten wir in Bienstädt 1941 fünf Schulkinder im Alter von 10-12 Jahren zur Erholung aus Bochum. Sie hatten viel Heimweh. Wir hatten einen Jungen. Auch Franzosen waren als Arbeiter im Ort. Untergebracht in Keils altem Haus an der Ecke Mittelstraße Nr. 84.
Im Jahre 1942 wurde zwischen der Kirche und dem Schulgebäude ein Feuerwehrgerätehaus erbaut. So verging ein Jahr nach dem anderen und es wurde nicht besser, sondern schlechter. Die Flieger kamen, Tag für Tag immer mehr. Eines Tages kamen sie auch in großen Schwärmen geflogen, wurden aber von den deutschen Jägern erfasst und zum Kampf gestellt. Die Luftschlacht über unserem Dorfe nahm immer mehr an Heftigkeit zu. Die deutschen Jäger brachten aus diesen starken Kampf- und Jagdverbänden 11 viermotorige Bomber und 2 Jäger zum Absturz. Vorher hatte man gar nichts gehört, denn der Himmel war bedeckt, bis plötzlich 2 brennende Flieger durch die Wolken hernieder gestürzt kamen.
Im Herbst 1944 waren Soldaten zur Genesung bei Bauern einquartiert. So konnten sie bei der Kartoffel- und Rübenernte mit helfen. Bei Großmutter war einer namens Retschke aus Jena, beim Vater einer namens Russwurm aus Meiningen und Wolf aus Würzburg. Kurz vor Weihnachten waren sie für immer nach Hause entlassen worden. Meine Cousine Jutta, 9 Jahre und ich, 12 Jahre, hatten zu Hause Aufträge zu erfüllen. Da Onkel Hugo von 1941-1947 im Krieg und in russischer Gefangenschaft war, hatten beide Frauen mit ihrer 5 ha Landwirtschaft zu tun. Nach Schulschluß und Schulaufgaben erledigen ging es an die Aufträge, die wir bekommen hatten: Feuer machen, Essen kochen, für die Tiere Kartoffeln kochen, Tiere ausmisten, füttern, Straße kehren. Auf der nördlichen Seite des Hauses steht der Brunnen. Er hat gutes Wasser. Von hier aus mußten wir beide Wasser holen. Kessel, Milchkannen und Eimer füllen, vor allem im Winter wegen des Einfrierens der Pumpe, obwohl sie gut mit Stroh und Säcken eingepackt wurde. Denn es gab Nächte, da fiel die Temperatur bis minus 15 bis 18 Grad. Im Sommer in der Ernte Seile legen – damit wurden die Garben gebunden. Garben halten oder mit aufstellen. Wenn das Getreide trocken war, wurde es nach Hause gefahren und in Scheunen eingelagert, wo es später gedroschen wurde. Nach
der Ernte mit Hungerrechen das Feld säubern. Man nannte es zusammen gerechtes Gebrüse. In den Herbstferien Kartoffeln lesen, Rüben rupfen und aufladen. Dann hieß es: Deine Schuhe mußt du aber selber sauber machen. Es geht nicht mit schmutzigen Schuhen in die Schule! Vor allem am Wochenende galt es, für alle vier Schuhe zu putzen. Nicht vergessen: Holz und Kohlen in Küche und Stube schaffen. Da kein Kleinholz vorhanden war, wollten wir das tun. Das Sägen, das wir uns leichter vorgestellt hatten, klappte nicht so, wie wir es uns dachten. Groß und Klein passten ja bei dieser Arbeit nicht zusammen. So stritten wir uns hin und her und einer schob die Schuld beim Sägen auf den anderen. Es gab auch Tränen, denn die Säge hatte oft Stillstand. Da der Garten in der Hecke war, mußte ich oft flitzen, um Gemüse oder Grünes für die Suppe zu holen. Wenn alle diese Aufgaben erledigt waren, durften wir spielen. Treffpunkt Straße der S.A. Nr. 61-62, mein Zuhause. Spiele: Schlagball, Bin ich, Räuber und Gendarm, Schnitzeljagd, Verstecken. Bei Schnee Schlittenfahren, bei guten Schneeverhältnissen fingen wir auf der Trift im Hinterdorf an, entlang bis zur Töttelstädter Straße. Ab und zu gingen wir auch ins Imtal oder zum Heubacher See. Meine größte Freude hatte ich am Schlittschuhlaufen und Schneeschuhfahren. Wenn das Wasser stark gefroren war, hatten wir 3 Stellen zum Laufen: See, Pfarrteich und Dorfteich. Bei guten Bedingungen, vor allem bei Mondschein, waren auch die Älteren beim Schlittenfahren bei bester Laune. Viel Freude kam auf, wenn der Lehrer sagte: Morgen Schlitten oder Schneeschuhe mitbringen, es geht zum See.
Ende 1944 und Anfang 1945 waren wegen Kriegseinwirkungen aus Bad Godesberg und Ahrweiler Tante Klara, Marlene, Adele und ihre Töchter aus Hamburg bei uns. Tante Hanni und Tochter Elke. Ab Kriegsende kam ihr Mann hinzu. Kaum zu glauben aber wahr: elf Personen waren trotz verschiedenen Alters untergebracht. All diese mußten auch versorgt werden. Platzmangel herrschte in diesem Häuschen. Sie sind aber alle satt geworden. Eine Meisterleistung von Großmutter Frieda und ihrer Tochter Marta. Ein großes Lob muß man ihnen aussprechen. Im Frühjahr kam uns zu Ohren, dass ab Juli die Russen Thüringen besetzen. Dies war wohl der Austausch für Berlin. Vor Juli haben unsere Verwandten trotz zerstörter Wohnung unter schwierigen Bedingungen die Heimreise angetreten.
Vor Ostern 1945 hörte man ganz weit die Front. Jeden Tag rückten die Amerikaner immer näher. Am 3. April drangen die ersten Panzer in Gotha ein. Vorher nahmen sie Gotha unter Feuer. Einige Tage später rückten drei Panzer bis nach Molschleben vor. Hier blieben sie acht Tage liegen, denn die deutschen Soldaten hatten die rückwärtigen Verbindungen abgeschnitten und sie bekamen keinen Nachschub mehr.“

 

Bienstädter Heimatgeschichte – 9. Teil:  Zeitzeugenberichte 1945

Text: Lothar Dingelstedt, Jahrgang 1932, Handschriftliche Aufzeichnungen angefertigt im Alter von 14 bis 17 Jahren in Bienstädt, Teil 2 von 3
„Ende März / Anfang April 1945 waren Tante Marta und ich bei herrlichem Frühlingswetter im Imtal und suchten für kleine Gänse Brennnesseln. Auf dem Heimweg bei der Warte sahen wir plötzlich mehrere Flieger am Himmel. Kurz darauf setzte Abwehrfeuer ein. Die Geschütze standen zwischen Molschleben und Kindleben. Bei der Explosion pfiffen uns Granatsplitter um die Ohren. Vor Angst liefen wir in den Wald zurück, wo uns weitere Geräusche in den Bäumen begleiteten. Als es vorbei war, schlichen wir uns unter Angst durch die Gräben nach Hause. Bei der Vorbereitung der Felder „Auf der Leiden“ und „Steingrube“ hatte meine Großmutter eine Idee. Wir nahmen für die umher irrenden Soldaten belegte Brote, Brötchen und Tee mit. Manche irrten schon Tage mit Hunger und Durst. Am Rande des Waldes hatten sie einen Fußweg gelaufen. Nur ängstlich verließen sie ihn, um sich bemerkbar zu machen. Die Gaben waren für meine Großmutter eine menschliche Ehrensache, und die jungen und älteren Soldaten erwiesen große Anerkennung und Dankbarkeit.
Da im Krieg 1944 – 1945 Brennmaterial Engpass war, mußte ich mit beiden Frauen gegen Abend bei Mondschein mit Handwagen oder bei Schnee mit Schlitten ins Witterdaer Holz mausen gehen. Als wir schon ängstlich beim Absägen eines Baumes waren, sprach uns eine Person von hinten an: >>Was tut ihr hier?<< Sprachlos waren wir. >>Eine Anzeige muß ich erteilen wegen Diebstahls. Dies wird eine teure Angelegenheit!<< Es war der Waldaufseher Koch von Kleinfahner. Plötzlich sagte er: >>Wenn ich euch nicht kennen würde… Ich werde euch trotzdem helfen. Ich weiß ja, wie die Not dazu führt. Aber bewahrt Stillschweigen, sonst bin ich dran.<< Somit fiel die Anzeige ins Wasser.
Im April 1945 pochte es des Abends vom Felde her an den Bretterzaun im Hof. Ängstlich waren wir! Wer könnte das wohl sein? Es waren 2 Soldaten. Leise sprachen sie zu uns. >>Wir haben Hunger und Durst.<< Erschöpft und kaputt wirkten sie. Als sie in der Küche aßen, fragten sie, ob sie hier schlafen können. Großmutters Menschlichkeit sagte >>Ja.<< Beide waren bewaffnet. Dankend verließen sie im Morgengrauen mit unbekanntem Ziel ihre Schlafstelle. Was aus ihnen geworden ist, steht in den Sternen. Ein paar Tage später meldete sich erneut des Abends ein Soldat und bat um Zivilsachen. Beim Gespräch mit meiner Großmutter stellte es sich heraus, daß er der Sohn ihrer Freundin aus Marburg an der Lahn war. Nach ein paar Tagen hat er sich vor dem Morgengrauen auf Nimmerwiedersehen verabschiedet.Wir hatten einen Polen und zwei junge Mädchen aus der Ukraine, Stadt Charkow, zum Arbeiten. Am 7. April 1945 kam ein SS-Mann und wollte den Polen zum Verhör mitnehmen. Vor Angst sprang er aus dem Küchenfenster, floh über den Hof, die Scheune, und den Garten in die Pfortengasse ins Hinterdorf. Der SS-Mann verfolgte ihn. Ich war gerade Richtung Hinterdorf bei Schröders, da fing es an zu schießen. Da kam der Pole gelaufen und kam bis zum Heckenweg, wo er zusammenbrach. Eine Schwester hat ihn sofort verbunden. Der herbeigerufene Arzt stellte Lungenstreifschuß fest. Dann lag der Pole bei meinen Eltern.
Sonntag Nachmittag, den 8. April 1945 ½ 6 Uhr pfiff die erste Granate über unser Dorf hinweg. Jetzt hieß es: >>Nur in den Keller!<< Es wurden 10 Schuß abgefeuert und dann wurde es still, denn Frau Käppler hatte auf dem Kirchturm die weiße Fahne gehisst. Am Abend gingen viele Leute auf die Mühle und besahen sie sich, denn die ganze Südseite der Scheune war zerschossen. Abends ½ 11 Uhr ging es wieder los. Wir lagen schon im Bett, stiegen aber trotzdem auf, zogen uns an und gingen in den Keller. Die ganze Nacht über wurden wir beschossen. Am anderen Morgen sahen wir, was alles in der Nacht geschehen war. Bei uns war ein Geschoß über den First gesaust und hatte die Ecke mitgenommen. Die Kirche, die Kirchenmauer und mehrere Häuser waren schwer beschädigt. Menschenverluste waren nicht zu beklagen. Am Mittag 1 Uhr kamen 3 Panzer mit aufgesessener Infanterie von der Mühle herunter und nahmen das Dorf. Es waren rund 200 Mann. Sie gingen von Haus zu Haus. Auch wir bekamen vier Mann Einquartierung. Diesen Montag, es war der 9. April, den werde ich nie in meinem Leben vergessen.
Als die Amis kamen, fuhren sie den angeschossenen Polen ins Lazarett. Sie holten meinen Vater zum Verhör. Er sollte im Dorfe Waffen einsammeln. Wenn er keine bringe, wollten sie ihn erschießen. Leider bekam er keine. Dies erfuhren die zwei Ukrainermädchen und gingen zum Kommandanten. Sie erklärten ihm, dass sie sehr gut behandelt wurden. Darauf hin konnte Vater nach Hause gehen.
Kurz nach der Einnahme von Bienstädt fing es an zu schießen, nordwestlich des Dorfes. Wenig später brachten sie 2 Soldaten. Einer mußte mit erhobenen Händen vor dem Jeep laufen. Der zweite lag auf dem Jeep und hatte beide Beine verbunden. Tage später wurden im Walde nahe der Funkstelle an der Gierstädter Straße zwei junge Soldaten aufgefunden. Sie waren beide an einen Baum gebunden und erschossen. Ihre Ruhestätte fanden sie auf dem Bienstädter Friedhof in der Ecke zum Schulgarten. In der Wasserzisterne auf der Funkstelle wurden drei Männer in Zivil gefesselt tot aufgefunden.“

Bienstädter Heimatgeschichte – 10. Teil:  Zeitzeugenberichte 1945 – 1949
Text: Lothar Dingelstedt aus Bienstädt, Jahrgang 1932, Teil 3 von 3
„Am 11. April 1945 wurde das KZ-Lager Buchenwald befreit. Auch in unserer Schule quartierten sich 15 russische Häftlinge ein. Diese beschmutzten unsere schöne Schule, brachen die Schränke auf und zerrissen unsere Bücher. Sie hielten sich ungefähr 14 Tage auf, wo wir sehr in Ängsten lebten. Später, als der Krieg schon vorbei war, hatten wir in unserem Dorfe noch zwei Mal amerikanische Besatzung. Dieses Mal mußten die Leute die Häuser räumen und zu Bekannten und Verwandten ziehen. Bei meinen Eltern hatte sich des Abends im Garten ein junger Soldat gemeldet und bat um Übernachtung. Er war noch in Uniform. Er war mehrere Wochen bei meinen Eltern. Bei der Einnahme von Bienstädt durch die Amerikaner hatten meine Eltern ihn versteckt. Er war 20 Jahre und in Heidelberg geboren. Anfang Mai hat er für immer dankend Bienstädt verlassen. Wohin?
1945 hatten Polen den Schießstand auf dem alten Sportplatz als Wohnung ausgebaut. Beim Abzug der Amerikaner haben sie Bienstädt mit verlassen.  Am 1. Juli 1945 zogen sich die amerikanischen Truppen zurück. Dafür kamen die Russen und besetzten diese Gebiete.
Nach Kriegsende kamen Städter auf die Dörfer. Sie wollten bei der Ernte mithelfen, vor allem bei der Kartoffelernte. Dafür gaben sie Sachen und Werkzeuge. Ihre Familienmitglieder, vor allem Kinder, hatten ja auch Hunger. Kartoffeln stoppelnde Städter gingen oft in die Kartoffelreihen. Sie lasen Ähren für Tiere und den eigenen Bedarf wie z.B. Gerste zum Rösten für Kaffee. Bei Dämmerung oder im Morgengrauen wurden mit dem Hinterrad des Fahrrades Rapsgarben ausgedroschen, um einige Pfund Raps zur Ölgewinnung zu haben.
Ab Juli 1946, seit der Besatzung der Roten Armee, war es für die Bauern auch schwer. Das lag an dem auferlegten Soll an landwirtschaftlichen Produkten, die an den Staat abgeliefert werden mußten. Wurde das Soll nicht erfüllt, kamen Geldstrafen oder tageweise Gefängnis auf sie zu.
1946 oder 47 hängte eine Frau ihre zwei Kinder und sich selbst auf. Es hieß, bei einer Hausdurchsuchung hätte man eine alte Vorderladerpistole im Dachkasten gefunden, die man ihr vorgezeigt habe. Diese Waffe kannte sie nicht. Der Frau drohte Verbannung nach Sibirien. Darauf erfolgte diese Tat. Die Kinder waren tot, die Frau wurde noch gerettet.
Im Winter 1946 zu 47 waren im Ort Russen einquartiert. Sie schliefen auf dem Saal. Wenn sie vor allem nachts betrunken waren, schossen sie im Dorf herum. Eines
Abends war das Ziffernblatt der Kirchturmuhr Zielscheibe. Die Uhr war daraufhin viele Jahre kaputt.
1949 kam von der Gemeinde ein Brief. Darin stand, dass Arno Dingelstedt verpflichtet wird, sich in der Zeit vom 23.1. bis 24.2.1949 mit zwei Pferden und dazu zwei Männern in Steinbach-Hallenberg zum Holzrücken zu melden. Wenn wir uns weigerten, drohten sie mit Enteignung des Grund und Bodens. Mit Leiterwagen, denn die Pferde brauchten auch Futter, brauchten wir drei Tage über glatte Straßen, ehe wir am Ziel waren. Wir mußten uns sogar einen Schmied suchen, der die Hufeisen schärfte. Beim Unternehmer gemeldet, ging es am nächsten Morgen 7 Uhr los. Dort waren wir zwei Tage, dann haben wir uns geweigert, weiter unsere Arbeit zu verrichten. Die Holzhaufen waren einen Meter hoch verweht und die Pferde hatten sich ihre Hufkronen an den Eis- und Schneeschichten aufgeschnitten. Da die Kronen bluteten, hatte der Tierarzt drei Tage Ruhe für die Pferde angeordnet. Während dieser Zeit bekamen wir zwei andere Aufgaben und danach einen anderen Arbeitsplatz. Unser Arbeitgeber war nicht der Beste, vor allem bei der Entlohnung. Dadurch gab es große Spannungen. Erst nach handfesten Argumenten meines Schwagers gab er nach. Die Unterkunft, die wir hatten, war sehr gut. Eine alte Oma von 70 Jahren namens Frieda König ging mit uns um wie mit ihren eigenen Söhnen. Sie betreute uns mit hervorragendem Essen. Nach dem Abendbrot fragte sie uns, was wir am Morgen für einen Wunsch haben. Soweit es möglich war, erfüllte sie den Wunsch Mehlklöße mit Heidelbeeren. Für diese Betreuung haben wir uns beim Abschied tausend Mal bedankt, wobei auf beiden Seiten es zu vielen Tränen kam.“

Bienstädter Heimatgeschichte – 11. Teil: Das Gemeindebackhaus

Folgende Bäcker im alten Backhaus werden in Bienstädt genannt:

Christian Severus Ruge nach Juni 1720 in Bienstädt als Bäcker.

Lorenz Hey nach November 1739 in Bienstädt als Bäcker.

Johann Nicolaus Giesler nach Juli 1777 in Bienstädt als Gemeindediener, Drechsler und Bäcker.

Georg Michael Steinbrück seit 1835 Gemeindebäcker.

Friedrich Ludwig Steinbrück nach Oktober 1855 in Bienstädt als Maurermeister und Bäcker.

1856 baute die Gemeinde ein neues Backhaus für über 600 Reichstaler.

1868 ist der Backofen von dem Bienstädter Maurermeister Abraham Giesler gebaut worden. Die Lieferung des Materials hatte die Gemeinde übernommen und für Arbeitslohn etc. 36 Taler ausgezahlt.

1892 wurde das Gemeindebackhaus an den Schuhmachermeister Hermann Steinbrück zu einem jährlichen Preis von 197 Mark verpachtet.

1893 blieb das Backhaus von beiden großen Bränden verschont.

1896 wurde in der Nacht des zweiten Kirmestages, am 1. Dezember, bei dem Gemeindebäcker eingebrochen und ihm aus seiner Kasse ca. 20-25 Mark entwendet. Der Dieb war noch im Hause, als die Ehefrau des Bäckers das Haus aufschloss. Er floh über den Hof. Wer der Täter war, wurde nicht bekannt.

1897 wurde im September der alte Backofen vom Bienstädter Maurermeister Thankmar Zeyß eingerissen und ein neuer mit Kohlenheizung gebaut. Die Kosten für diesen neuen Backofen beliefen sich auf ca. 800 Mark.

1898 wurde das Backhaus am 1. Oktober von dem Bäcker Carl Rost aus Hopfgarten für eine jährlichen Pacht von 150 Mark auf 3 Jahre übernommen.

1901 wurde das Backhaus auf 3 Jahre gegen einen jährlichen Pachtzins von 240 Mark an Hugo Kämpf aus Döllstädt verpachtet. Carl Rost musste gehen, da er nicht zur Zufriedenheit der Gemeinde seinen Dienst versehen hatte.

1907 pachtete der frühere Bäcker von Töttelstädt Otto Wenk das Gemeinde-backhaus vom 1. Oktober an für 270 Mark jährlich, da Anfang Juli der Bäcker Kämpf nach Erfurt verzogen war.

1912 brannte am 5. April der Stall des Bäckers Wenk aus ungeklärter Ursache ab. Vorläufig konnte er seine Tiere im Stall des Pfarrers unterbringen. Die Brandkasse zahlte 978 Mark. Der Wiederaufbau dauerte bis in den August.

1913 wurde das Backhaus ab 1. Oktober für 115 Mark an den Bäcker Ferdinand Keil aus Friedrichsdorf auf 3 Jahre verpachtet.

Danach wird Osmar Leopold Stoll in Bienstädt als Landwirt und Bäcker genannt.

2016 hat das Backhaus der Familie Köhler in Bienstädt 160-jähriges Jubiläum.

 

Bienstädter Heimatgeschichte – 12. Teil: Seuchen und Krankheiten

Wenn heute, im ach so fortschrittlichen 21. Jahrhundert in Deutschland und sogar in Erfurt, sich beinahe vergessene Krankheiten wie die Masern wieder ausbreiten, lohnt vielleicht eine kurze historische Betrachtung. In Zeiten vor den 1960er Jahren, als gegen diese Viruserkrankung noch keine Impfstoffe verfügbar waren, starben oder erkrankten viele Menschen schwer an dieser Krankheit. An Spätfolgen wie Schäden an Herz, Leber und Gehirn litten oft jene, welche die Masernerkrankung an sich überstanden hatten.

Viele Menschen betrachten heute Impfungen als Segen – einige sind Skeptiker oder gar Gegner. Ich denke, dass ein Blick in die jüngere Geschichte Bienstädts zum Nachdenken anregen kann. Schauen wir, was dazu berichtet wurde:

„1852/ 53 starben an Masern 7 Personen.

1866 – Im Sommer dieses Jahres wurden sehr viele Kinder von der Masernkrankheit befallen. Doch trat dieselbe nicht sehr heftig auf und niemand starb an denselben. Die Cholera, welche in Gotha und anderen Orten des Landes viele Opfer forderte, zeigte sich in Bienstädt nicht.

1874 – Im Herbst dieses Jahres traten wie auf vielen Nachbardörfern, so auch in hiesiger Gemeinde die Masern epidemisch auf, so daß zu Zeiten 36 Kinder wegen Erkrankung in der Schule fehlten. Doch ist Gott sei Dank kein Kind an dieser Zeit gestorben.

1886 – Von der in so vielen Orten unserer Nachbarschaft grassierenden Masernepidemie wurde auch unsere Gemeinde in diesem Sommer betroffen. Sehr viele Kinder lagen zeitweilig an den Masern krank, so dass einige Wochen der Schulunterricht ausgesetzt werden musste, doch war der Krankheitsverlauf in den meisten Fällen ein günstiger, schwer krank haben nur wenige Kinder gelegen und nur zwei sind gestorben.

1892 – Im Oktober und November traten die Masern auf.

1904 – Anfang November brach eine Masernepidemie unter den Bewohnern des Ortes aus. Am 3. November waren bereits 49 Schulkinder erkrankt. Es mußte daher der Unterricht bis Neujahr ausgesetzt werden. Im Ganzen sind 104 Erkrankungsfälle, aber Gott sei Dank, keiner mit tödlichem Ausgang, zu verzeichnen.“

Text & Recherchen: Uwe Riedel, Bienstädt